Wer “agil” sagt, meint oft Methoden: Scrum, SAFe, Kanban, OKR, Design Thinking. Ich finde das Verstehen und Leben agiler Werte und Prinzipien wichtiger als das exakte Umsetzen einer Methode. Wer agil arbeitet, hat diese Dinge zur täglichen Routine gemacht:
- Transparent miteinander kommunizieren.
- Wissen offen teilen – und zwar alles davon.
- Fehler eingestehen, analysieren und gemeinsam aus ihnen lernen.
- Feedback geben und regelmäßig die Arbeit reflektieren.
- Eigenverantwortlich und selbstbewusst Entscheidungen treffen.
- Die Nutzer*innen konsequent in den Mittelpunkt der Arbeit stellen.
Was davon machst du in der Zusammenarbeit mit Kolleg*innen oder in deiner Redaktion? Und wo hakt es?
Die gemeinsame Basis für diese verschiedenen Verhaltensweisen ist psychologische Sicherheit im Team. Geprägt hat den Begriff die amerikanische Psychologin Amy Edmondson. Die Professorin für Leadership und Management an der Harvard Business School definiert psychologische Sicherheit als eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der alle Teammitglieder sich offen äußern können, ohne beschämt, zurückgewiesen oder bestraft zu werden. Klingt vernünftig, ist aber in der Praxis gar nicht so einfach.
Wenn in einem Team Konkurrenz befeuert wird, wenn einige oder alle aus Angst vor Gesichtsverlust ihre unbequemen Meinungen, ihr Wissen und ihre Kreativität zurückhalten, wenn Fehler (zum Beispiel durch eine unsachliche Mail an den großen Verteiler) an den Pranger gestellt werden – dann ist die Unsicherheit groß. Als Organisation und als Individuen zu lernen und zu wachsen ist in solchen Umfeldern sehr schwer. Psychologische Sicherheit bedeutet allerdings nicht, dass alle immer freundlich, friedlich optimistisch und einer Meinung sind. Konflikte gehören dazu.
Psychologische Sicherheit herzustellen ist für Edmondson eine Führungsaufgabe. Die gute Nachricht: Auch wenn du gerade kein*e Chef*in bist, kannst du sie im Team fördern. Vier Tipps für bessere Zusammenarbeit in der Redaktion:
1. Rege eine Team-interne Feedback-Runde an und organisiere 1:1-Gespräche zwischen allen. Die Kolleg*innen sprechen jeweils 5 bis 10 Minuten lang über ihre Zusammenarbeit. Du kannst einen Leitfaden mitgeben: Wie bewertet ihr die Zusammenarbeit auf einer Skala von eins bis zehn? Was lief besonders gut? Was wollen wir in Zukunft an unserer Zusammenarbeit ändern? Auf jeden Fall sollten alle wertschätzend und konstruktiv in ihrem Feedback bleiben. Und: Persönliches Feedback wird vertraulich behandelt.
2. Sprecht grundsätzlich über die Zusammenarbeit im Team. Über euer “Warum”, eure gemeinsamen und individuellen Ziele, Rollen, Stärken und Schwächen. Dabei hilft zum Beispiel das Team Canvas, das du hier herunterladen kannst. Holt das Team Canvas am besten alle paar Monate wieder hervor: Was hat sich verändert?.
3. Verschaffe dir ein persönlicheres Bild von deinen Kolleg*innen. Dazu müsst ihr euch nicht gegenseitig in eure dunkelsten Geheimnisse einweihen. Eisbrecher-Fragen zu Beginn eines Meetings bringen Spaß und gegenseitiges Verständnis:
Was ist deine Superpower?
Wohin würdest du niemals in den Urlaub fahren?
Welches Lied hast du zuletzt gehört?
Welches Emoji beschreibt deine Woche bisher?
Die Zombie-Apokalypse ist da. Welchen Promi hättest du gern in deinem Team?
4. Gehe offen mit deinen eigenen Fehlern um. Klar, das kann in einer psychologisch unsicheren Organisation richtig hart sein. Trotzdem: Wenn du deine eigenen Fehler benennst, für sie die Verantwortung übernimmst und über deine Lernkurve sprichst, werden sich das andere abgucken. Das ist eine Nummer zu groß? Kein Problem: Mache ein Mal in der Woche einen dummen, aber lustigen Vorschlag in der Themenkonferenz und beobachte, was passiert. Auch das macht Angst? Suche dir eine*n Mitspieler*in für dieses Experiment. Dann stehst du nicht allein da.
Übrigens: Dieser Text wurde zuerst am 26. April 2022 in meinem Newsletter veröffentlicht. Um keinen Text zu verpassen, abonniere die Haftnotiz.